Léa Seydoux über ihre Rolle in «Un beau matin» (2024)

Léa Seydoux über ihre Rolle in «Un beau matin» (1)

Interview

Jingyu Lin / The New York Times / Redux / Laif

Nach «Bond» ist die französische Schauspielerin im Kino als Mutter zu sehen. Das liess sie nachdenklich werden.

Letztes Jahr war sie an der Seite von James Bond zu sehen. Nun brilliert sie im Film «Un beau matin» als normale Mutter. Es ist ein klarer, sonniger Morgen, Léa Seydoux, 37, lässt sich auf einer Terrasse an der Côte d’Azur mit einem Lächeln und einem fröhlichen «Bonjour» auf ein Sofa fallen. Sie trägt die Haare in einem Bubikopf à la Jean Seberg, Jeans, weisses Hemd und Sandalen – schlichter kann sich ein Weltstar des Kinos kaum geben.

Schön, Sie zu sehen, Léa, lange ist’s her . . .

Léa Seydoux: Ja, wir haben uns zuletzt bei den Interviews zu «Bond» gesehen, aber es ist doch etwas ganz anderes, sich jetzt wieder persönlich zu begegnen statt per Videoschaltung, wieder Menschen um sich zu haben – endlich!

Sind Sie nicht völlig geschafft? Sie haben in einem Jahr sechs Filme abgedreht

Äääähhhmmmm – doch! Aber bei allem Stress ist es auch eine grosse Freude. Ich kenne es ja kaum anders, all das hier ist längst mein Leben.

Sie spielen nächstens eine Alleinerziehende. Alle, die diese Rolle im echten Leben erfüllen, kennen den Dauerstress, die blanken Nerven. Ihre Figur ist ruhig, voller Geduld für Eltern, Tochter und einen neuen Kerl. Ist das realistisch?

Stimmt, die Frau ruht in sich selbst. Das war die Vorgabe von Regisseurin Mia ­Hansen-Løve. In ihren Filmen erzählt sie immer aus ihrem eigenen Leben, und ich wusste, dass ich sie verkörpere: Mia kümmerte sich wirklich um ihren dementen Vater, ist Mutter und verliebte sich nach einer Trennung, mit dem Mann ist sie bis jetzt zusammen. Mia hat selbst etwas sehr Sanftes, Zartes an sich, was ich sehr mag.

Sie arbeiten zum ersten Mal zusammen, aber scheinen ein perfektes Duo zu sein.

Manchmal bleibt eine Figur für mich sehr abstrakt, und ich finde keinen Zugang, entwickle kein Gespür für sie. Aber hier war alles klar und einfach. Es geht um eine normale Frau, die mitten im Leben steht und die es mit der Liebe und auch dem Tod zu tun bekommt. Alles war echt. Ich merke gerade: Das ist das erste Mal, dass ich eine ganz normale Frau spiele!

Wie kommt es, dass eine Durchschnittsfrau für Sie so eine Ausnahme ist?

Keine Ahnung! Aber in allen Filmen vorher stellte ich immer eine Art Phantasie dar oder ein Objekt der Begierde. Und wenn nicht das, dann war ich eine Alkoholikerin, eine Auftragskillerin, eine Mörderin – also ganz weit weg von normal! Aber mit dieser Frau kann sich jeder identifizieren. Die Emotionen, die sie durchlebt, sind Emotionen, die wir alle kennen und erlebt haben. Oder noch erleben werden.

Sind Sie es leid, so oft Phantasiewesen oder auch Sexsymbole darzustellen?

Nicht unbedingt. Ich spiele die Rollen, die man mir anbietet. Für mich ist Schauspielerei eine Kooperation: Wenn ein Regisseur den Wunsch hat, mit mir zu arbeiten, dann ist das wie eine Einladung zum Tanz. Und es braucht nun einmal zwei, wenn der Tanz intensiv und ausdrucksstark sein soll.

Aber machen Sie sich nicht doch zur Vision des Regisseurs? Verbiegen sich, bis Sie seiner Vorstellung entsprechen?

Kann schon sein, dass das unbewusst so ist. Das entspricht aber auch meiner Natur. Ich reagiere nie zu heftig, raste nie aus, sondern passe mich lieber an. Ich halte mich selbst lieber immer etwas zurück.

Ist das Ihr Geheimnis, weshalb Sie bei aller Leinwandpräsenz immer noch geheimnisvoll bleiben?

Mir gefällt es, die richtige Balance zwischen Ausdruck und Zurückhaltung zu finden. Aber wenn ich dann erst mal Gefühle zeige, gebe ich auch viel, dann ströme ich geradezu über vor Gefühlen.

Apropos: Sie sind seit fünf Jahren selbst Mutter. Fällt es als Mutter leichter, mit Kindern zu spielen?

Nein, es ist immer schwierig, mit Kindern zu schauspielern! Entweder sind sich Kinder ihrer selbst zu sehr bewusst und spielen völlig übertrieben. Dann sind sie meist total nervig. Oder aber sie spielen nicht. Es ist also immer irgendwie kompliziert.

Wie würden Sie reagieren, wenn jemand Ihren Sohn für einen Film haben wollte? Wären Sie dagegen?

Hmm, schwierig. Ich will nicht unbedingt, dass mein Sohn im Rampenlicht steht. Aber mir wäre wichtig, dass George das macht, was ihn fasziniert. Wenn er also Schauspieler werden will, dann bitte. Ich wäre in jedem Fall sehr stolz auf ihn, auch wenn er kein grossartiger Schauspieler werden würde, sondern eben ein grossartiger Schreiner. Ich wäre stolz, weil er das tut, was ihn erfüllt.

Letztes Jahr waren Sie sehr beschäftigt, drehten bombastische Studioproduktionen wie «Bond», dann wieder intime Filme wie «Un beau matin» oder Cronenbergs «Crimes of the Future». Bringt jeder Film auch einen eigenen Lifestyle mit sich?

Ja, total. Aber das ist etwas, worauf ich wirklich stolz bin: dass meine Filme so unterschiedlich sind. Ich liebe das Gefühl, dass es keine Grenzen gibt, nur fliessende Übergänge. Dass ich frei bin, dass ich überall hinreisen kann und einmal mit einem französischen Regisseur drehe und direkt danach mit David Cronenberg. Genauso geniesse ich es, mit Schauspielern aus verschiedenen Ländern zu arbeiten. Für mich ist das Kino eine universelle Sprache.

Sind Sie also ein Workaholic?

Nein. Ich bin total faul. Ich weiss auch nicht, wie es gekommen ist, dass ich plötzlich die ganze Zeit arbeite . . . wirklich dauernd! Ich hänge gern meinen Gedanken nach und verliere mich in meinen Hirngespinsten. Als Kind kam ich mit dieser Art nicht gut klar. Kaum hatte ich mal etwas angefangen, hing ich kurz danach wieder meinen Tagträumen nach. Ich verstand nicht, dass Menschen so anders drauf sein konnten, so pragmatisch und produktiv! Ich lebte immer in meiner eigenen Welt, hatte den Kopf meist in den Wolken. – Und plötzlich arbeite ich nur noch!

Weil Sie den Kopf noch immer in den Wolken haben, wie Sie es ausdrücken, aber nun die Phantasie zu Ihrem Beruf machten?

Genau. Es fühlt sich an, als sei das Abtauchen in andere Welten mein Lebenselixier. Ich brauche das Kino wie die Luft zum Atmen. Ich glaube, sonst wäre ich ein viel zu me­lancholischer Mensch.

Wo ziehen Sie Ihre Grenzen, künstlerisch betrachtet, eher bei Cronenbergs blutigen OP-Orgien oder bei Bettszenen à la «La vie d’Adèle»?

Oh, ich habe Grenzen, aber ich kann sie schlecht in der Theorie beschreiben. Wir leben gerade in einer Zeit, die uns beängstigt. In ihr ist Kunst, sind auch Filme so politisch geworden. Ich frage mich, ob das richtig ist. Für mich ist Kunst etwas, das eigentlich unnötig ist. Wir brauchen die Kunst nicht. Aber gerade weil wir sie nicht brauchen, benötigen wir sie umso dringender! Denn was bleibt von uns übrig, wenn nicht die Kunst? Was von den Menschen von vor Tausenden Jahren überlebte, von den alten Griechen oder den Pharaonen, sind ihre Künste. Nur Kunst überlebt. Wir wissen heute nicht, ob wir Kriege vor uns haben oder sie überleben. Aber was unser Sein auf der Welt rechtfertigt, ist die von uns erschaffene Kunst.

Spricht da die melancholische, grüblerische Seite aus Ihnen?

Nun, unser Leben besteht aus nichts als Veränderung und Vergänglichkeit. Wir sind nur kurz auf diesem Planeten und haben wenig Zeit, um andere Seelen zu lieben. Dann sterben wir schon. Aber dieses Leben wird für die nächsten Generationen genauso verlaufen, ebenso wie es für die vergangenen Generationen verlief. Es ist immer ein Kreis. Für mich liegt in der Vergänglichkeit auch sehr viel Schönheit.

Léa Seydoux über ihre Rolle in «Un beau matin» (2)

Auch James Bond hat mittlerweile das Zeitliche gesegnet. Haben Sie Lust auf weitere Blockbuster?

Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher, weil es sehr anstrengend war. Mir liegt auch noch gar kein Angebot vor. François Truffaut hat es einmal perfekt auf den Punkt gebracht: «Das Leben hat mehr Vorstellungskraft als wir selbst.» Das trifft es für mich. Ich habe das Gefühl, dass das Leben vieles für mich vorsieht und entscheidet.

Sie haben die Fähigkeit, sich der Kamera völlig hinzugeben. Gehören Ihr Körper und Ihre Seele dann gänzlich der Leinwand?

Ich habe kein Problem mit Nacktszenen, solange sie Schönheit ausstrahlen und sie inhaltlich für den Film unabdingbar sind. Ich bin aber selbst eher schüchtern oder möchte meinen Körper gar nicht unbedingt zur Schau stellen, weil ich ihn selbst gar nicht so attraktiv finde.

Eine Regisseurin, mit der Sie einmal drehten, beschrieb Ihre Erotik als «übersinnlich» . . .

Cool! Nur: Diese Frau muss verrückt sein! Aber es ist komplexer, all das hat nichts mit dem gängigen Gebrauch des Begriffs «sexy» zu tun. Ich kann gut aussehen, ich kann aber auch schlecht aussehen. Ich bin überhaupt nicht die typische Sirene, die Sexbombe, die immer und überall toll rüberkommt – non. Eigentlich möchte ich mir beim Spielen auch gar nicht so bewusst sein, wie ich gerade aussehe. Und auch sonst nicht!

Hilft dann die Routine weiter, wenn Sie doch einmal raus aus Ihrer Haut müssen?

Ich habe zu meinem Körper jetzt eine viel freiere Beziehung und viel weniger Komplexe. Gerade als junger Mensch mäkelt man bei jeder Körperstelle an sich herum . . . Heute bin ich da viel entspannter! Vielleicht aber auch, weil ich mittlerweile weiss, dass Männer gerade diese kleinen Makel lieben, die den Körper einzigartig statt perfekt machen.

Ich habe Sie seit Anfang Ihrer Karriere oft interviewt. Jetzt wirken Sie verändert: freier, befreiter, leichter, zugänglicher. Sind Sie vielleicht an einem neuen Punkt Ihres Lebens angelangt, ob durch den Erfolg oder Ihr Kind?

Ich habe tatsächlich das Gefühl, angekommen zu sein, privat und beruflich am richtigen Platz zu sein. Ich fühle mich ausgefüllt und bin im Moment wirklich sehr glücklich. In meinem Leben sind ein paar tragische Dinge passiert, dann hat die Pandemie auch einiges verändert. Aber jetzt habe ich das Bedürfnis – und die Bereitschaft! – all das, was mir gegeben ist, auch in vollen Zügen zu geniessen.

Das erste Interview mit Léa Seydoux zu «Midnight in Paris» 2011 musste noch auf Französisch stattfinden, erinnert sich unsere Autorin Mariam Schaghaghi. Die Newcomerin war nicht nur nervös, sondern damals auch kaum des Englischen mächtig.

Passend zum Artikel

«No Time to Die»: James Bond mit Todessehnsucht Es ist das Ende einer Ära und ein spektakulärer Abschied für Daniel Craig, der Bond seit «Casino Royale» (2006) gespielt und die Figur transformiert hat. Jetzt stellt sich die Frage, wie es mit dem Agenten weitergehen soll. Er muss sich zwingend weiter modernisieren, aber darf seine Wurzeln trotzdem nicht verlieren. Ein Dilemma.

Denise Bucher

4 min

Léa Seydoux über ihre Rolle in «Un beau matin» (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Zonia Mosciski DO

Last Updated:

Views: 5807

Rating: 4 / 5 (51 voted)

Reviews: 82% of readers found this page helpful

Author information

Name: Zonia Mosciski DO

Birthday: 1996-05-16

Address: Suite 228 919 Deana Ford, Lake Meridithberg, NE 60017-4257

Phone: +2613987384138

Job: Chief Retail Officer

Hobby: Tai chi, Dowsing, Poi, Letterboxing, Watching movies, Video gaming, Singing

Introduction: My name is Zonia Mosciski DO, I am a enchanting, joyous, lovely, successful, hilarious, tender, outstanding person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.